Herdenschutzhunde bewachen Schafe auf einer Weide. / Foto: Humpert
27.01.2019

„Es geht nicht um die Angst vor dem Wolf“

Ortrun Humpert ist seit 1999 Schäferin. Sie ist Vorsitzende des Schafzuchtverbands NRW. Im Interview mit „westfalenspiegel.de“ spricht Humpert über die  Bedrohung durch den Wolf und die Zukunft ihres Berufsstandes.

Frau Humpert, inzwischen gibt es in NRW schon zwei Wolfsgebiete. Der Räuber kommt näher. Haben die Schäfer in Westfalen Angst vor dem Wolf?
Die Schäfer haben Angst um ihre Schafe. Es geht nicht um die Angst vor dem Wolf. Wir haben auch nichts gegen den Wolf, wenn er unsere Tiere in Ruhe lässt. Wir wollen unsere Schafe schützen. Und da ist es kein gutes Gefühl, morgens zur Herde zu kommen und nicht zu wissen, ob in der Nacht ein Tier gerissen wurde.

Wie können Sie ihre Schafe denn vor dem Räuber schützen?
Viele meiner Kollegen setzen entsprechende Zäune und Herdenschutzhunde ein. Allerdings kosten diese Maßnahmen eine Menge Geld. Ein Herdenschutzwelpe zum Beispiel um die 1500 Euro. Der jährliche Unterhalt liegt bei den großen Hunden mit Futterkosten, Impfungen und Tierarztbesuchen auch noch einmal zwischen 1000 und 2500 Euro. Hinzu kommt, das ein Hund nicht ausreicht. Man braucht mindestens zwei Hunde. Sie sollen die Herde ja umkreisen, um sie von allen Seiten bewachen zu können. Das geht mit nur einem Tier nicht.

Wer trägt die Kosten dafür?
In Nordrhein-Westfalen muss der Schäfer in Vorleistung gehen, sofern seine Herde nicht in einem Wolfsgebiet unterwegs ist. Das kann sich nicht jeder leisten. Eine Studie hat zuletzt gezeigt, dass Schäfer von einem Stundenlohn von durchschnittlich 6,50 Euro leben müssen. Das ist deutlich unter dem Mindestlohn. Da schüttelt man solche Investitionen nicht einfach so aus dem Ärmel.

Herdenschutzhunde haben auf die Weichtiere ein wachsames Auge.

Herdenschutzhunde haben auf die Weichtiere ein wachsames Auge. / Foto: Bröker

Wie sieht die Unterstützung für Schäfer in einem Wolfsgebiet denn aus?
Zunächst einmal ist es richtig, dass es Unterstützung gibt, aber hier wird nur das Material und nicht die Arbeitszeit ersetzt. Außerdem gibt es bisher nur zwei Wolfsgebiete in NRW. Und Risse durch den Wolf haben wir an viel mehr Orten. Außerdem ist die Auszeichnung eines Wolfsgebiets von unserer Seite aus zumindest fragwürdig. Wölfe wandern ungeachtet menschengemachter Grenzen und dann dauert es einfach zu lange: von den ersten Sichtungen müssen ja erst Monate vergehen, in denen es weitere Nachweise eines Wolfs gibt, damit das Gebiet entsprechend ausgezeichnet wird. Das ist absurd.

Was meinen Sie damit?
Wenn von der ersten Sichtung eines Wolfes oder gar einem Riss bis zur Erklärung zum Wolfsgebiet so viel Zeit vergeht, dann kann der Räuber an einer ungeschützten Herde lernen, seine Beute zu machen. Wenn er das gelernt hat, ist es für ihn auch kein Problem mehr, später aus der geschützten Herde Tiere zu greifen. Bei der dann einsetzenden Rüstungsspirale hat das Weidetier Schaf keine Chance mehr. Frühzeitige Prävention im Wortsinne könnte helfen, wenn die Wölfe nicht schon aus Familien stammen, die bereits auf Weidetiere spezialisiert sind.

Wie sieht es denn mit Entschädigungen aus?
Auch da bekommen die Schäfer den Schaden nicht ausreichend ersetzt. Es wird ein Zeitwert des Schafes ermittelt. Das gilt auch für ungeborene Lämmer, wenn also ein gerissenes Schaf trächtig war. Ein solches ungeborenes hat einen Zeitwert von etwa zwei bis drei Euro. Wäre es geboren worden und normal aufgezogen, wäre es durchschnittlich 90 Euro wert gewesen – da ist aber auch noch nicht eingerechnet, dass es auch als Zuchttier hätte eingesetzt werden können.

Was fordern Sie von der Politik?
Leider ist unser Vorschlag für eine Muttertierprämie abgelehnt worden. Es gibt 23 Mitgliedsstaaten in der EU, die eine ausgeprägte Herdentierhaltung haben. Nur einer von ihnen hat keine Muttertierprämie und das ist Deutschland. Wir haben 38 Euro pro Jahr und Muttertier in den Ring geworfen. Aber das Thema ist ganz abgelehnt worden. So hängen viele Schäfer am unterbezahlten Tropf der Landschaftspflege, für die sie eigentlich unersetzlich sind.

Machen Sie sich Sorgen um ihren Berufsstand?
Ja natürlich. In Deutschland ist die Zahl der Berufsschäfer in den vergangenen 30 Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen. Viele Kollegen erreichen bald das Rentenaltern, finden aber keine Nachfolger. Der Schäferberuf ist einer der ältesten Berufe der Welt, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass es ihn in 30 und mehr Jahren noch gibt.

Das Gespräch führte Jürgen Bröker

Ortrun Humpert

Ortrun Humpert. / Foto: privat

Ortrun Humpert ist seit 1999 Schäferin. Die 54-Jährige hält in Marienmünster-Löwendorf (Kreis Höxter) etwa 400 erwachsene Schafe und Nachzucht. Außerdem züchtet sie Herdenschutzhunde. Diese sollen die Schafe gegen den Wolf und andere Beutegreifer verteidigen.

 

 

 

 

 

Ein Porträt über einen Schäfer aus Westfalen lesen Sie hier.

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